top of page
BRATENWENDER

 

Wann die ersten Bratenwender entstanden sind und wo, liegt im Dunkel der Geschichte Die früheste Erwähnung eines Bratenwenders ist in der Biographie des französischen Koches Guilaume Tirell in der Mitte des 14. Jahrhunderts zu finden, er heißt dort «tourne broche», was so viel wie Spießwender oder Spießdreher bedeutet. Tirell, bekannter unter dem Namen « Taillevent», war Chefkoch König Karls V. von Frankreich. 1375 verfaßte er eines der frühesten und richtungsweisenden Kochbücher über die Esskultur des Mittelalters in Europa, das « Le Viandiere». Seit damals erschien kaum ein bedeutenderes Kochbuch ohne die Beschreibung eines Bratenwenders und dessen Verwendung. Im Spätmittelalter scheinen Bratenwender bereits allgemein gebräuchlich gewesen zu sein. Bratenwender waren nicht gerade billig und wurden daher im 16. und 17. Jahrhundert mehr und mehr zum Prestigeobjekt des Adels und des reichen Bürgertums. Stand in einer gut eingerichteten Küche ein Bratenwender, stieg man im Ansehen des Gastes. So wurden Gäste vom Hausherrn oft zuerst in die Küche und erst danach in die Ahnengalerie geführt. Diese Mode ging soweit, daß im 18. Jahrhundert auch im Haushalt kleiner Bürger oder  Bauern ein Bratenwender stehen mußte. Einfache Bratenwender für die Küche reicherer Bauern wurden meist von geschickten Dorfschmieden angefertigt, in waldreichen Gegenden gab es auch Bratenwender die von geschickten Tischlern zur Gänze aus Holz gedrechselt wurden.

Die Konstruktion von Bratenwendern ist weitgehend ident mit der Konstruktion der Schlagwerke von Turmuhren. Daher wurden sie von Turmuhrmachern, bzw. Turmuhrschmieden angefertigt. Für das Handwerk der Turmuhrschmiede in Nürnberg des 16. Jahrhunderts waren Bratenwender so bedeutend, daß sie in ihrem Wappen einen Bratenwender führten. Diese Bedeutung kam sicher auch daher, daß Turmuhrmacher vielfach von der Anfertigung von Bratenwendern lebten, da diese ja öfter gebraucht wurden als Turmuhren.

 

Das Spannungsfeld zwischen Turmuhren und Bratenwendern, dem abstrakten Begriff von Zeit im philosophischen Sinn und dem Gegensatz zum weltlichen Genuß den Küche und Keller bieten, begleitet die Geschichte der Bratenwender bis in die Gegenwart. Dieses Spannungsfeld ist auch heute für unsere Gesellschaft ein wichtiger Hinweis darauf uns bewußt Zeit zu nehmen. Zeit für die Arbeit, Zeit für uns und unsere Freunde und Zeit für das Zubereiten und Genießen unserer kulinarischen Köstlichkeiten. Das gleichmäßige Drehen des Bratspießes und der Duft des Bratens bietet uns die Möglichkeit, in meditativer Aufmerksamkeit dem Bratvorgang zu folgen und bei Bedarf die Geschwindigkeit der Drehung des Bratspießes über den Windfang zu steuern. Und dabei an einem Glas gutem Rotwein zu nippen.

 

Das Wissen um Geschichte, Technik und formaler Ausgestaltung der Bratenwender und deren regional Verschiedenheit in Europa ist in der Fachliteratur bisher nur ansatzweise und vielfach wenig qualifiziert behandelt worden. Das kleine Büchlein von Lukas Stolberg in Graz, „Bratenwender, eine historische Betrachtung“, erschienen 1986, ist eines der wenigen fachlich fundierten Publikationen auf diesem Gebiet und heute längst vergriffen. Henk Klaassen hat diese Lücke mit der vorliegenden Publikation gefüllt. Er ist nicht nur Sammler von Bratenwendern, sondern restauriert diese auch vorbildlich im Sinne einer Pflege technischer Denkmäler. Darüber hinaus gilt sein Interesse aber vor allem der Geschichte, dem historischen Hintergrund, den verschiedenen Konstruktionen und Materialien von
Bratenwendern, deren formal-stilistische Zierformen  und deren unterschiedliche regionale Eigenheiten in Europa. So werden in einzelnen Kapiteln Bratenwender aus Frankreich, England, Italien, Deutschland und auch Österreich vorgestellt.  Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit hat Henk Klaassen nun in einer umfangreichen, wissenschaftlich fundierten, aber auch für den Laien verständlichen Publikation herausgebracht.

 

In dem klar und übersichtlich gegliederten Werk werden die einzelnen Themen bis in das kleinste Detail behandelt und beschrieben, durch technische Zeichnungen ergänzt und mit einem umfangreichen Katalog mit Fotos von Bratenwendern ergänzt. Diese Publikation ist nicht nur für den Fachmann, sondern auch für den Laien eine wertvolle Hilfe bei der Bestimmung von Art, Alter und Provenienz von Bratenwendern. Die Kapitel über den Kauf, die Beantwortung von Fragen zur Restaurierung und letztlich die Bedeutung der heute üblichen, modernen, motorgetriebenen Grillgeräte vervollständigen das Thema. So kann dieses Buch „Het mechanisch Draaispit“  mit Recht als Standardwerk über Bratenwender bezeichnet werden.

 

Wolfgang Komzak
Uhrenstube Aschau
Museum für Turmuhren und Bratenwender

bottom of page